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Gedanken aus meinem Turm Nicht ernst zu nehmende Denkspiele eines Turmwächters ? |
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'Zu Gast bei Freunden' - Die Fußball WM in Deutschland, 2006 *** oder: Der Sieg des Herrn Beckenbauer und des Herrn Zidane Eine unzeitgemäße Betrachtung aus dem Turm Nun mögen mich die Leser der 'Turmgedanken' aus der 'INTER-POST' endlich für total bescheuert halten, wenn sie in der Überschrift etwas vom Sieg des Herrn Zidane lesen. Nicht so schnell meine Freunde. Ich bin mir sicher, dass sie am Ende dieser Zeilen anders denken werden. Doch erst einmal zu dieser WM an sich. Die Sensation meinerseits ist die, dass ich mir im Laufe meines nun wirklich langen Lebens das erste Mal eine WM vom Anfang bis zum Ende angeschaut habe. Auch das wirtschaftliche Aussortieren von Menschen in unserer Zeit scheint seine Vorteile zu haben. Man kann sich Dinge anschauen, mit denen man sich früher nur sporadisch und irgendwie notgedrungen beschäftigt hätte, denn die Arbeit geht ja immer vor; solange man sie hat. Soweit so gut. Dass die WM ein großer Erfolg für Deutschland war, steht außer Zweifel. Selbst das Motto, was sich - glaube ich - der André Heller ausgedacht hat, war so gut positioniert, das selbst dem Bösesten unter unserem Volk gar nichts anderes übrig blieb, als Freund zu sein. »Zu Gast bei Freunden«, und ich wünschte mir das es nie wieder anders werden könnte. Doch manches Mal habe ich den Eindruck, dass das Volk schon miteinander auskommen würde, mehr oder weniger. Wenn da nicht die Politik wäre, die Gräben zieht, Wälle aufbaut, Richtlinien für erwünschte Gedanken ausgibt; Wegweiser setzt, die das Volk in seinen Anfängen kaum registriert und erst recht nicht versteht, und wenn dann doch, ist es meist zu spät. Gott sei Dank blieben für diese Zeit der WM die offiziellen Grabenkämpfe der Parteien im Hintergrund. Wichtig war das Spiel und lenkte gleichzeitig vom Schröpfverhalten unserer derzeitigen Regierung ab. Und erst jetzt, in meinen späten Tagen, musste ich die Erfahrung machen, wie erholsam es sein kann. Man trifft sich mit Freunden, sitzt hoffentlich in der Kneipe und nicht allein zu Hause, es wird geflachst, gewettet, sich unheimlich aufgeregt um in den nächsten Minuten vor lauter Torfreude alle Schmähungen wieder vergessen zu haben. Und die >dummen Sprüche< des Franzosen, Spaniers, Italieners, Engländers, Ghanaers, der Preußen, der Bayern und des Deutschen, die alle um dich herumsitzen, sie hat es nie gegeben, sind ausgelöscht für alle Zeiten, solange das Spiel geht. Eine berauschende Sache. Und sie fällt nicht unter das Drogengesetz, obwohl es schon eine sein könnte. Ich habe mir am Anfang meines Exkurses durch die WM einen Zettel gemacht, wen ich für fähig halte, bis ins Finale vorzudringen. Ich muss gestehen, Deutschland wäre nach meinem Zettel an Argentinien gescheitert. Außerdem hatte ich Spanien und Brasilien auf der Siegerliste. Und obwohl ich das prächtige Spiel dieser Franzosen verfolgt hatte, dämmerte es mir, nach dem blitzschnellen Wandel der Italiener gegen Deutschland in den letzten Minuten der Verlängerung, das Italien der neue Weltmeister werden würde. Und wer ist es geworden? Mit viel Glück. Denn sie waren müde, und wären wir an der Stelle Frankreichs gewesen, wir wären Weltmeister geworden. Darauf können sie Gift nehmen. Aber gönnen wir es der Squadra Azurra, denn in ihren Heimatvereinen liegt soviel im Argen, dass, wenn ich ein Spieler von so einem Sumpfverein wäre, wahrscheinlich lieber nach Germany oder sonnst wohin auswandern würde. Gratulieren wir allen Spielern, die es überhaupt bis zu dieser WM gebracht haben, denn es ist ein langer, beschwerlicher Weg für die Spieler, die es letztendlich zu bewerkstelligen haben, das Spiel. So genau kann ich natürlich nicht nachvollziehen, ob andere Weltmeisterschaften auch so prickelnd, so voll Überraschungen waren, aber ich finde, diese WM und die Leistungen, die erbracht wurden, für bewundernswert. Sie nicht auch? Bewundernswert, und hier komme ich auf meinen Untertitel für diese Zeilen zurück, bewundernswert empfinde ich auch die Energie unseres Herrn Beckenbauers, der uns zum einen, die WM nach Deutschland gehievt hat und zum anderen obendrein noch ein neues Stadion für seinen Verein ergattern konnte. Aber an dem Endspiel im Berliner Olympiastadion konnte man deutlich erkennen, dass es nicht unbedingt notwendig gewesen wäre, für die WM ein neues Stadion zu bauen, ein Vereinsstadion wohlgemerkt. Beckenbauer war der Auffassung, dass ein Stadion, so wie das Münchner Olympiastadion, auch nach einem Umbau nicht mehr zeitgerecht sei. Dem Zuschauer könne nicht zugemutet werden, dass er soweit vom Spielfeld entfernt sitzen müsse. Gestern, beim Endspiel im Berliner Olympiastadion war davon nichts zu spüren, oder? Obwohl zwischen den Zuschauern und dem Spielfeld reichlich Raum für die Leichtathleten freigelassen wurde. Im Gegenteil: Wenn ich geistig diese gestrige Siegesfeier in das neue F.C.B. - Stadion versetzen würde, hätte es für Spieler, ihre Betreuer, dem FIFA-Komitee und der Presse überhaupt keinen Raum mehr gegeben. Wohin denn mit den Leuten, wenn zwischen Rasen und Volk kein Platz mehr ist? Also, eigentlich ein klarer Sieg für Herrn Beckenbauer. Er hat seine WM gehabt, wofür wir alle recht dankbar sind, und hat, im Zuge der WM, sein eigenes Vereinsstadion bekommen. Da kann man nur von Sieg auf allen Linien reden. Aber sonnst hat sich der Kaiser Franz in der WM recht gut gehalten. Nicht wie ein Kaiser, sondern als Mensch haben wir ihn erlebt. Und dafür danken wir herzlich. Und nun zu dem zweiten Sieger, zu dem schmerzlichen Sieg des Herrn Zinedine Zidane. Ein großer Mensch und ein großer Spieler. In meinen Augen ein tragischer Held. An ihm hat sich die 'Equipe Tricolore' hochgezogen, von seinem fanatischen Spieleinsatz und seiner Übersicht profitiert. Ohne ihn wäre die französische Mannschaft schon in der Vorrunde hängen geblieben, hätte wie die großen Mannschaften Brasilien, Argentinien oder Spanien, die Koffer packen können. Und nun dieser Abschluss, dieses Fiasko in letzter Minute. (Ein Schreiber der ARD ließ sich sogar dazu hinreisen, vom Wahnsinn des Zidane zu sprechen.) Also, kein Sieg, keine Anerkennung, kein letzter Dank an einen Spieler, der Gewaltiges geleistet hat. Doch wie in allen großen Geschäften, denn nichts anderes ist der heutige Fußball, gibt es Risse, man kennt sich, man weiß, auf was der Gegner sauer reagiert. Wenn er schon im Spiel nicht zu bezwingen ist, dann vielleicht anders. Sicher kennt man ein Stück seiner Vergangenheit, seiner Wunden, die er in sich trägt, in die man Salz streuen kann, wenn es einem notwendig erscheint. Genau dieses scheint passiert zu sein, als Materazzi neben Zidane herlief, ihn einen Moment lang um die Hüften faste und etwas zu ihm sagte. Wir haben ja alle zugeschaut, aber es nicht gehört, Zidane ging weiter und die verbale Attacke von Materazzi ging auch weiter. Man hat es gesehen, dass er gesprochen hat. Was hat er gesagt, das Zidane plötzlich so reagierte, vielleicht reagieren musste? Sehen sie meine lieben Turmleser, da sind wir an dem Punkt, wo ich feststellen muss, dass Zidane der zweite große Sieger dieser WM ist. Wir wissen nicht, was dort für verbale Provokationen von Materazzi losgelassen wurden, wir wissen aber das Zidane diese nicht auf sich sitzen lassen wollte, gleich um welchen Preis. Er konnte es nicht mit sich und seinem Inneren vereinbaren, konnte es nicht einfach widerspruchslos hinnehmen, selbst in dieser außergewöhnlichen Situation nicht. Und da Zidane eigentlich ein Schweiger ist und sich mehr als Kämpfer versteht, griff er zu einem Mittel, was ihm als Sportler in dieser Art verwehrt ist, seine Seele aber sicher freier gemacht hat. Und deshalb ist er für mich ein Sieger, ein tragischer, aber ein Sieger. Materazzi hat keinen Schaden aus der Attacke gehabt, ist ein bulliger Kämpfer und nach zwei Minuten wieder gehüpft wie ein Vogel auf seiner Stange. Für Zidane aber ist in diesem Moment eine Welt zusammengebrochen. Da bin ich mir sicher! 10.07.2006 In diesem Sinne liebe Nachbarn. Bis zum nächsten Mal, herzlichst ihr tomtom. Die INTER - POST © by h.g. glase |
Inhalt Felix Baumgartners Stratos - Projekt Der Himmel ist nun ausverkauft Zu Gast bei Freunden Der Sozialstaat und die Arbeitsagentur Handel, Wandel, überleben (Deutschland) Der Friedensnobelpreis und der Tod Theorie über den 11. September Gedanken am Drei-Königs-Tag 2004 Und willst du nicht mein Bruder sein |
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