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Auf dieser Seite, liebe Freunde der INTER-POST, werden kleine Geschichten, Begebenheiten, Randnotizen aus dem alltäglichen Leben geschildert. Ich bin sicher, dass Sie manchmal etwas dabei zu lachen haben und sicher bringt die Zeit auch trauriges oder sogar Tränen. Warten wir es ab und verfolgen diese Zeitnotizen. - Notizen aus der Zeit - |
Inhalt: Tausend Hände | Die Tage danach | Gustav & Frederic | Mr.Matins stille Selbstbetrachungen |
Gustav und Frederic Wir trafen uns zu unbestimmten Zeiten immer an den einen, unausweichlich bestimmten Ort. Unserer Stammkneipe. Aber in den letzten Tagen, ja eigentlich seit den letzten zwei Monate machten sie sich rar. Wo waren sie geblieben, die Beiden? Hatte am Ende dieser zum leichten Jähzorn neigende Gustav seine geschiedenen Frau um die Ecke gebracht, wie er es so oft angedeutete hatte? Gut, aber wo war dann Frederic, der Sanftmütige? für jede der heutigen Frauen zu gut, zu biegsam, zu nachgiebig und deshalb unverheiratet - Gott sei Dank -. Zumindest er hätte doch mal auftauchen müssen. Schließlich müssen Nachrichten unter die Leute gebracht werden und wie sollen sie unter die Leute kommen, wenn sie einfach nicht kommen, die Leute? An einen grauen Samstag kam dann endlich dieser Frederic. Kleinlaut war er, grüßte kaum merklich, hockte sich in eine Ecke, bestellte sich ein Bier, - das muß man sich mal vorstellen; als Weintrinker ein Bier - nahm einen Schluck wie ein verdurstendes Kamel, schaute auch dementsprechend, lehnte sich zurück und rülpste hörbar. Ich war wie vom Donner gerührt! Der Frederic und rülpsen?, dass war eine glatte Sensation! Er, der immer noch irgendwie der Kultiviertere unter uns oft abgedrehten Typen war, rülpste laut und und lehnte sich einfach zurück. Ohne auf sich, auf die Leute oder die restliche Welt zu reagieren, sie überhaupt wahrzunehmen. Was war geschehen, was hatte ihm so aus der Fassung gebracht, dass er plötzlich Bier trank und, das er auch noch zu rülpsen anfing? Es dauerte noch einmal zwei Biere lang, und dieses Mal ohne die Rülpser, bis ich erfuhr was los war mit dem Herrn Frederic, der ja nun schließlich kein Kind mehr war, seine sechsundvierzig Jahre auf den Buckel hatte und eigentlich gegen fast alles in der Welt gefeit sein müßte. Aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man einfach nicht erwartet. Man rechnet auf keinen Fall mit ihnen und genau gegen diese Dinge ist man halt dann nicht gewappnet, hat sich kein Schild zur Abwehr bereitgelegt, ist den Stürmen der Zeit so überraschend ausgesetzt, dass es oft nicht einmal mehr hilft die Hand vors Gesicht zuhalten, damit einem die Tränen nicht in die Augen getrieben werden. Nein, geheult hat er nicht, der Frederic, als er mir dann erzählte was eigentlich schon seit längerer Zeit lief und bis zu diesem grauen Samstag - Nachmittag verborgen gehalten wurde. Dieser Gustav und der Frederic waren zusammen in einer Baufirma. Der Eine machte die statischen Berechnungen und der Andere die Kostenrechnung. Alles lief gut, die Auftragsbücher waren gut voll und keiner der achtzig Leute, die dort ihr Brot verdienten, hatte damit gerechnet eines Tages vor verschlossenen Türen zu stehen. Doch es war so. Der Inhaber der Firma hatte kurzer Hand über Nacht und über seinen Anwalt Konkurs angemeldet und war selbst in Richtung Ausland abgedampft. Nach dem Motto, 'und tschüs'. Also waren die Beiden von heute auf morgen ohne Arbeit und welcher Unternehmer stellt heute noch jemand ein der über fünfundvierzig ist, so wie der Frederic und nicht einmal der Gustav hat es geschafft, der zu dem Zeitpunkt gerade mal achtunddreißig war. Passiert ist das aber schon vor gut einem Jahr und keiner der Beiden hat sich getraut etwas in unserer Runde zu sagen, in der Kneipe darüber zu reden, das sie arbeitslos sind. Weder der burschikose Gustav noch der sanfte Frederic haben - nicht einmal im leicht angesäuseltem Zustand - dieses Problem angerührt. War es die Scham? Denn ein Problem ist es auf jeden Fall für den Otto - Normalverbraucher in unserer Zeit. Schließlich haben wir, - oder besser gesagt der Staat hat sie uns gegeben - Gesetze die es nicht mehr zu lange erlauben auf der sogenannten faulen Haut zu liegen. Da hilft auch das Alter nicht, hilft nicht die Abneigung der Unternehmer, die auf einmal alteingebrachtes Wissen nicht mehr zu schätzen wissen, hilft es nicht, dass man nie krank war, Überstunden geschoben hat oder sich sonnst außerordentlich nützlich für die Firma gemacht hat. Und das man brav jeden Monat seine Arbeitslosenversicherung dreißig - vierzig Jahre einbezahlt hat, hilft erst recht nicht. Ja, ja, so ist sie, unsere Zeit. Jetzt war es mir schon klar, dass ich die Beiden so wenig sah, ja man mußte fast froh sein, wenn man sie überhaupt noch zu Gesicht bekam. Denn nach den Gegebenheiten und den Gesetzen unseres Landes mußten sie schon im Stadium 'Hartz IV.' sein. Und das lies mich ahnen warum der Frederic Bier trank und es wie ein ausgetrocknetes Kamel in sich hinein goß. Er mußte seine Wohnung räumen, sein ein und alles, was dieser eher schüchtern zu nennende Mensch hatte. Der Dreh - und Angelpunkt seines bisherigen Lebens, seine quasi Heimat wurde ihm von Heute auf Morgen genommen, ihm nicht mehr zugestanden. Das man da einen kräftigen Schluck braucht ist verständlich. Ansonsten würde sogar so ein kleiner, sanftmütiger Frederic unter Umständen zum Tier werden. Wir lehrten noch ein paar Gläser und man sorgte sogar dafür das er wieder seinen geliebten Wein bekam. Es tat mir unendlich leid, was mit dem Frederic und dem Gustav geschehen war, ohne ihre Schuld, ohne das sie sich hätten zur Wehr setzen können. Sie waren unversehens in einen Schlund unserer Zeit gezogen wurden, in den Schlund der Armut. Vom Staat verordnet und von den Unternehmern initiiert. Und wo war nun der Brötchengeber, der Mann für den sie Jahre ihres Lebens gearbeitet und die Jahre auch damit für ihn geopfert hatten? Erst nach längerer Zeit traf ich die Beiden wieder und das in einer Situation die ich ehrlich gesagt nicht erwartet hätte. Gustav hatte eingeladen, alle wie sie da waren! Der Wirt und seine Frau, die Tochter, der Sohn, alle sausten sie wie wild durcheinander, belegten Brote, machten kleine warme Speisen zurecht, reichten Wein, stellten Süßigkeiten und Salzgebäck einfach so auf den Tresen und es schien mir, als sei das Schlaraffenland ausgebrochen. Was war geschehen? Ich hatte noch die verzweifelt klingenden Worte von Frederic in den Ohren, der mir seine Not mit der Wohnung erzählte, und jetzt? Alles Saus und Braus. Hatte der Gustav im Lotto gewonnen? Die Neugier ließ mir keine Ruhe und ich hätte keinen Bissen, keinen Schluck von allem angenommen, wenn ich nicht in Erfahrung bringen würde, was hier los ist. Frederic grüßte etwas verlegen und ich machte ihm Zeichen, dass ich kurz mit ihm sprechen wolle. Es kam aber nicht all zu viel heraus. Er sagte mir nur das Beide seit einiger Zeit zusammen in so einer Leihfirma arbeiten. Wenn sie Glück haben werden sie ein - zweimal die Woche angerufen, müssen mal dort putzen mal da Besorgungen machen und wo anders irgendwelche Regale ein - und ausräumen. Frederic schien darüber nicht unglücklich zu sein. >Es geht wieder etwas weiter< meinte er leicht resigniert und als ich ein Zeichen zu Gustav machte um zu erfahren was mit dieser Feier ist, zuckte er nur mit den Achseln und flüsterte mir leise ins Ohr, »der spinnt jetzt ganz. Hat sich einen neuen Wagen gekauft, aber keinen kleinen und will auch noch ein Haus. Wahrscheinlich ist der jetzt ganz übergeschnappt.« Weiter kamen wir nicht mit seiner Erklärung. Der Gustav hatte mich erspäht, winkte mit einem vollen Sektglas und die Nachforschungen, die Neugier meinerseits war für diesen Tag erst einmal kaltgestellt. Öfter als sonnst besuchte ich in der nächsten Zeit unsere Kneipe und wenn es sich dabei auch nur um eine schnelle Tasse Kaffe, einen Martini handelte was ich bestellte, aber ich wollte wissen wie das wohl enden würde mit unserem Gustav. An einem Sonntagvormittag kam dann die Stunde der Wahrheit, die Stunde der Erkenntnis. Gustav saß im feinsten Zwirn am Tresen. Seinen Wagen mit dem Stern hatte er genau vor der Kneipe geparkt, - so, als würde es auf der ganzen Welt keinen anderen Platz dafür geben - und er selbst war gerade dabei dem Wirt zu erklären wer an seinem Sektfrühstück teilnehmen darf und wer nicht, als sich zwei Herren an seinem Wagen postierten und drei von der selben Fakultät in die Kneipe kamen, sich kurz orientierten und bei unseren Gustav ruckartig stehen blieben. Es dauerte keine zwei Minuten und das schöne Sektfrühstück hatte sich in Nichts aufgelöst. Der Gustav bekam, statt des Sektes und den bestellten Räucherlachs mit Toast, die Handschellen um seine Handgelenke gelegt und nur nach fünf Minuten war der ganze Spuk vom feudalen Leben unseres Gustavs vorbei. Der Wagen wurde näher in Augenschein genommen um dann schließlich genau wie der Gustav in die Verwahrung zu wandern und am nächsten Morgen löste sich das Rätsel dann endgültig auf. Die Zeitungen waren voll von der Geschichte um unseren Gustav und es gab nicht ein Blatt, von dem er nicht mit lächelnder Mine auf den Rest der Welt blickte. Und die passenden Schlagzeilen dazu? 'Größter Datenraub in der Geschichte' , 'Festplatten aus dem Finanzministerium entwendet', 'Aushilfe putze nicht nur die Büros, sonder entsorgte auch die Kunden - Dateien', 'Millionen mit Festplattenraub erschwindelt', 'Wo geht es hin mit unserer Sicherheit? Datenklau en gros', 'Millionen Daten von Bundesbürgern spurlos verschwunden', 'Hartz IV.- Empfänger bessert seine 345 Euro auf, Millionenverluste'. Das war also des Pudels Kern! Ein Lachen konnte ich mir bei der Lektüre der Schlagzeilen und den folgenden Texten allerdings nicht verbeißen. Wären wir oder unsere Zeit nicht so computerversessen, hätte sich unser Gustav ganz schön schwer getan mit dem Abtransport der tausenden und abertausenden Datenblätter, Karteikarten und was es da noch alles gibt. Sicher hätte ihm der neu angeschaffte Wagen dabei allein nicht gereicht. Und noch eines; wäre der Chef von Gustav und Frederic ein ehrlicher Patron gewesen, hätte sich genauso mit seinem Geschäft geplagt wie die Angestellten mit ihm, könnten unsere zwei sicher ihren Arbeitsplatz bis zur wohlverdienten Rente behalten und müßten sich nicht diesen 'Hartz IV. Stempel' auf die Seele, auf ihr Ansehen und ihr Konto drücken lassen. Der kleine, sanfte Frederic überstand das ganze eigentlich relativ gut. Natürlich brauchte es seine Zeit bis er sich an die neue Situation, die neue Arbeit und die ihn überhaupt nicht vertraute Wohnung gewöhnt hatte. Aber mit ihm konnte ich nach wie vor - und endlich wieder regelmäßig - Nachrichten austauschen, Dinge besprechen die das Leben für uns so bereithält und irgendwie ist er mir ans Herz gewachsen. Ach ja, der Gustav; fünf Jahre ohne Bewährung ........... h.g.g. 04.10.2008 Die INTER - POST © by h.g. Glase |
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