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Auf dieser Seite, liebe Freunde der INTER-POST, werden kleine Geschichten, Begebenheiten, Randnotizen aus dem alltäglichen Leben geschildert.

Ich bin sicher, dass Sie manchmal etwas dabei zu lachen haben und sicher bringt die Zeit auch trauriges oder sogar Tränen. Warten wir es ab und verfolgen diese Zeitnotizen.

- Notizen aus der Zeit -

Inhalt: Tausend Hände | Die Tage danach | Gustav & Frederic | Mr.Matins stille Selbstbetrachungen |



Tausend Hände


Ein alter Freund hat mir bei einem zufälligen Zusammentreffen eine Geschichte erzählt, die ich auf keinen Fall für mich behalten möchte und es auch nicht darf. Dass warum erfahren Sie jetzt:

Er, nennen wir ihn Walter, seit längerem in Ruhestand und vielleicht etwas vereinsamt - Frau tot, Kinder in der globalisierten Welt untergetaucht - dieser Walter also wurde zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Nichts Besonderes, nein, Gott bewahre. Eine Feier wie man sie halt so macht unter Gleichgesinnten und Gleichalten. Halt; fast Gleichalten, wenn wir vom Alter reden und erst recht fast, wenn wir vom gleichen Denken reden würden. Denn wer ist schon gleich und welcher ist gleicher, auch wenn sie alle aus denselben Zeiten kommen. Jeder bekommt vom Leben sein Brandzeichen aufgedrückt und so mancher der Anwesenden war früher ganz versessen darauf endlich eine Marke, ein Zeichen zu bekommen und hat jetzt alle Mühe es wieder loszuwerden, da es sich in diese unsere Zeit nicht mehr einfügen will, dem Zeitgeist nicht mehr entspricht, oder einfach aus der Mode gekommen ist, selbst wenn der momentane Zeitgeist die Marke oder das Zeichen durchaus notwendig hätte.

So bunt und facettenreich, wie unser Leben nun einmal ist, so vielschichtig war auch diese Gruppe, die sich am frühen Nachmittag in der Kneipe versammelte. Da stand ein Doktor neben dem Gärtner, der Hausmeister kämpfte Ideen mit dem Computerfachmann aus, Gundolv der Lebenskünstler machte sich über die letzten zehn Jahre der Politik her und versuchte seine Thesen, gleich dem alten Luther, an alle Türen und Köpfe zu nageln - nur, er hatte die Nägel vergessen - der alte Miroslav, gebückt von seiner lebenslangen Schinderei in der Gießerei, erzählte wieder von seiner Heimat, die er aber in Wirklichkeit wahrscheinlich nur noch in seinen Träumen zu sehen bekahm. Im Ganzen hatten sich so an die fünfzehn ältere Herren versammelt. Und da war noch das Geburtstagskind, soweit man von einem der die sechzig schon hinter sich gelassen hat, noch von einem Kind sprechen kann. Er kahm aus der öffentlich - rechtlichen Branche, hatte sich gegen ein schönes Handgeld vor ein paar Jahren wegrationalisieren lassen und lebte, so recht nach seinem südländischen Blut und Geschmack, die Tage eines zufriedenen, an nichts und niemanden gebundenes Leben. Nein, nicht ganz. Das regelmäßigste in seinem Leben war, und ist der Besuch dieser Kneipe. Der Dreh - und Angelpunkt, das soziale Tapplet für ihn und sicher auch für viele andere, die sich in dieser Lebenslage und an diesem Ort befinden.

Jetzt hätte ich doch beinahe unseren Walter vergessen. Der Walter war früher einmal ein Geschäftsmann, wie man so schön sagt. Ein gutmütiger, nachgiebiger Mensch. Also für Geschäfte im heutigen Sinn, wo es meistens nur noch um die nötige Ellenbogenstärke, um das Austricksen von Personal oder von Kunden geht, für solche Feinheiten war und ist er unbrauchbar. Aber sonnst ist er ein eher liebenswerter, hilfsbereiter und sogar hin und wieder recht lustiger Mensch. So auch heute an diesem wunderschönen, sonnendurchfluteten Nachmittag, der in der Dunkelheit der Kneipe fast völlig übersehen wurde. Tausend Dinge wurden durchgehechelt, jeder der Anwesenden wusste seine Geschichte zum ewigen Leben beizutragen und unser Walter freute sich so richtig seines Lebens, erfreute sich an dieser Gesellschaft, die für ein fast normales Weiterleben nach dem Aussortieren nahezu unerlässlich ist. Hat man sie nicht, ist zu erwarten, dass der Mensch in eine gewisse Lethargie abfällt, die Lebensuhr sich anpasst, immer langsamer läuft und er sich selbst, Minute für Minute, damit aufgibt. Man muss in Bewegung bleiben, die Sinne stimulieren, die Gedanken immer wieder neu antreiben, um weiter zu denken, zu vergleichen, abzuschätzen, wie es dem anderen geht und wo man selbst steht für die restlichen Tage seines Lebens.

Hier und jetzt schien erst einmal alles in Butter zu sein, obwohl sich bei einigen die ersten Schwächen so Glas für Glas einstellten. Die Zungen liefen nicht mehr so schnell wie am Anfang der Redekaskaden, manche Augen schauten in Fernen, die sie im Moment sicher selbst nicht erblicken konnten und das 'Geburtstagskind' beschloss urplötzlich jetzt unbedingt nach Hause zu müssen, um etwas zu ruhen. »Vielleicht sieht man sich am Abend noch einmal«, meinte er kurzentschlossen, und ehe die Gesellschaft es richtig registrierte, war er auch schon im Rosarot des ausklingenden Sonnentages verschwunden. Unserem Walter schien das nur recht zu sein. Genüsslich trank er sein Glas leer, schaute mit verschmitzt lächelnder Mine durch die großen Glasscheiben auf die vom einsetzenden Berufsverkehr hektisch werdende Straße und dachte sich im Stillen, >ist es nicht schön?, ich habe plötzlich Zeit! Das Kostbarste der Welt, die Zeit. Ich kann gehen, kann bleiben, kann mich auf die nächste Bank setzen und keiner wird mich deswegen aus der Ruhe bringen können. Kein Auto, kein Büro, kein hektischer Vertreter, nicht einmal die Gedanken an Verlorenes, werden dass jetzt noch schaffen.< Nur die Bedienung schaffte es für einen kurzen Moment, als sie ihn fragte, ob er noch einen Wunsch hätte. Walter schaute sich kurz in der verbliebenen Gesellschaft um, schüttelte abrupt den Kopf, klopfte zum Zeichen seines Abganges auf den Tresen, verabschiedete sich mit den knappen Worten, »meine Herren, das war's« und war auch schon im Getümmel der Straße untergetaucht. Der Weg zu seiner Bahn war nicht weit, aber um diese Zeit etwas beschwerlicher als sonnst. Irgendwie hatte er den Eindruck das sich alles wie in einem plötzlich anschwellenden Strom bewegte, alles in eine Richtung zu fließen schien, ohne das er feststellen konnte oder wollte, wohin und warum. Einen Teil dieses Stromes von Menschen, Einkauftaschen, Gepäck, Kinderwägen, Fahrädern, ausgeflippten Tinis mit Stopseln in den Ohren, folgte er und gelangte endlich zu der Treppe, die ihn zu seiner Bahn führen sollte. Etwas verunsichert nahm er die ersten zwei, drei Stufen. In der letzten Zeit hatte ihn seine Hüfte hin und wieder Beschwerden bereitet, was er selbst nicht als so tragisch ansah, es einfach für eine normale Verbrauchssache hinnahm, aber was ihm beim Treppensteigen und speziell, wenn es abwärtsging, einfach verunsicherte. Doch es ging alles gut und sich vielleicht am Geländer einzuhalten, einfach abzusichern, wäre ihm wohl nie in den Sinn gekommen. Dafür hellt er sich einfach noch zu jung, biologisch versteht sich! Bis die letzten zwei Stufen erreicht waren. Wie ein gewaltiger Blitz durchzuckte es seine linksseitige Lende, ein quälender Schmerz setzte ein und unser Walter knickte, wie eine vertrocknete, vom Sturm gebeutelte Blume, zur linken Seite ein. Hexenschuss! Die letzten zwei Stufen schaffte er gerade noch so, um nicht zu stürzen, bewegte sich aber jetzt wie ein aus der Balance gekommener Kreisel, versuchte einerseits sich wieder aufzurichten und zum anderen das Gleichgewicht nicht ganz zu verlieren, um vielleicht doch noch auf den Boden zu landen. Bei seinen verzweifeltem Bemühen wieder zum Stillstand zu kommen, wieder aufrecht gehen zu können, kreiselte er an den unterschiedlichsten Leuten und Gesichtern vorbei, sah erschrockene Augen, zynisch lächelnde Mimik, abgestumpfte Menschen ohne jegliche Regung, Augen, die die Not des Anderen nicht erkennen können und nicht eine helfende Hand, von denen sicher tausend auf dem Vorplatz zur Station der Bahn waren. Zwei Hände hätten genügt um den aus der Richtung gekommen Kreisel, um den Mensch Walter in seiner bitterlichen Not zu helfen. Doch die Hände blieben fest an ihren Einkaufstaschen, den Aktenkoffern, den Tageszeitungen, in ihren Hosen, an ihrem Handy oder dem MP3 Player haften und dachten gar nicht daran einem Gestrauchelten zu helfen. Der arme Kreisel Walter landete endlich mit einem dumpfen Knall, der von seinem eigenen Schädel ausgelöst wurde, an einen stählernen Pfosten eines Schaukastens für die Fahrpläne. Gott sei Dank, dass es wenigstens diese, wenn auch unbeabsichtigte, Hilfe gibt, denn das Faktotum Mensch muss im Laufe der Evolution einen Schaltfehler erlitten haben oder den Chip für das Erspüren von Not, für das Wissen, das ein Mitmensch seine Hilfe brauchen könnte, einfach verloren oder abgeschaltet haben.

Unser Walter erholte sich etwas an dem stählernen Pfosten, handelte sich dann zur nächsten Mauer und wieder zum nächsten Vorsprung, bis er endlich, immer noch in der Haltung der gebrochenen Blume, die Rolltreppe und später seine Bahn erreichte. Der Heimweg war genau so beschwerlich für unseren Walter und wehr weiß, was ein Hexenschuss bewirken kann, kann sicher nachempfinden, was es bedeutet sich von Gartenzaun zu Gartenzaun weiter zu hangeln, nur damit man endlich nach Hause, endlich zur Ruhe kommt und es vielleicht irgendwann einfach vergisst, das es von tausend Händen nicht eine helfende Hand gegeben hat.


h.g.g. 22. April 2009



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