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Auf dieser Seite, liebe Freunde der INTER-POST, werden kleine Geschichten, Begebenheiten, Randnotizen aus dem alltäglichen Leben geschildert.

Ich bin sicher, dass Sie manchmal etwas dabei zu lachen haben und sicher bringt die Zeit auch trauriges oder sogar Tränen. Warten wir es ab und verfolgen diese Zeitnotizen.

- Notizen aus der Zeit -

Inhalt:      Tausend Hände | Die Tage danach | Gustav & Frederic | Mr.Matins stille Selbstbetrachungen |



Die Tage danach

Eine Betrachtung über das Weiterleben........(Rente)

Klingt irgendwie deprimierend, 'weiterleben', oder? Ja und nein. Es geht hier um die simple Situation wenn ein Mensch vierzig - fünfzig Jahre gearbeitet hat und dann, buchstäblich von heute auf morgen, damit aufhören soll oder muss. Natürlich gibt es auch die glücklichen Ausnahmen, die schon sehnlichst auf den Ruhestand warten, hinfiebern zu dem Tag an dem sie dann alles tun und lassen können, was sie sich immer vorgestellt haben und, was noch ausführbar für sie ist. Und trotzdem ist es für beide Seiten -wenn es dann soweit ist- erst einmal ein Schock.

Die tägliche Routine, die verhasste und sicher tausendmal verfluchte Routine des täglichen aufstehen müssens, das Gedränge in U-Bahn, Bus oder Vorortzug, der tägliche Stau auf den Straßen und Zubringern, die dummen Sprüche irgendeines Büromenschens, »na Herr Maier, war es gestern wieder etwas spät?«, alles dass fehlt auf einmal. Selbst die gutgemeinten aber sehr oft als geradezu lästig empfundenen Annäherungsversuche von Untergebenen oder Gleichgestellten, Gleichgesinnten fehlen jetzt und so mancher wünscht sich diese Situationen plötzlich zurück, ja sehnt sich in seinen 'Tagen danach' förmlich nach solchen Momenten des angemacht werdens. Fünfzig Jahre sind zwei Generationen! Eine lange Zeit und nun soll man am Stichtag alles vergessen, was in den vierzig oder fünfzig Arbeitsjahren geschehen ist, was uns geformt hat, uns friedlicher oder kämpferischer gemacht hat? Die Enttäuschungen, die Hoffnungen, die hellen, freudigen Stunden mit den Kollegen, die Stunden voller Mühsal und Depression darüber, ob man alles richtig macht, ob die Familie gesichert ist, ob sie überhaupt -oft bedingt durch die Arbeit - noch funktioniert, alles dass soll sich jetzt erledigt haben? Nein! Nicht alles, nur die Zeit der Pflicht, den Gedanken des arbeiten müssens, diese Dinge sollte man streichen. Was bleibt ist der Mensch an sich!

Hier eine kleine Geschichte aus Bochum von zwei gleichwertig Beschäftigten der Nokia-Werke. Der gewesenen, versteht sich.

Unser Herr Schwarz hatte Glück. Er war schon in dem alten Werk bei Graetz, hatte seine Rente fast auf den Tag genau voll und war eigentlich glückseelig alles so 'termingerecht' erwischt zu haben. Die ersten drei Monate waren für ihn der Himmel auf Erden. Morgens machte er den Kaffe. Während seine Frau den kleinen Haushalt erledigte, las er in Ruhe seine Zeitung, kümmerte sich um den Wellensittich und natürlich um die drei Hasen, die sie immernoch in dem kleinen Hof hinterm Haus hatten. Ein unverkennbares Relikt aus der Grubenzeit, dem Ruhrpott. Genau um zwölf Uhr hörte man eine vergessene Werksirene kurz aufheulen und ein Lächeln lief über das Gesicht von unseren Herrn Schwarz. »Nee, ihr nicht mehr«, flüsterte er zufrieden und suchte umgehend die Küche auf. War das Mittagessen vorbei gingen sie in den neuen Bochumer Grünanlagen spazieren, besuchten hin und wieder Bekannte und natürlich ihre zwei Kinder, die im Bergischen arbeiteten. Die Abende machten sie sich so gemütlich, wie es ihnen nur irgendwie möglich war und mancher Restaurantbesuch erinnerte sie an die ersten Tage ihrer Bekanntschaft, in denen die Schlösser noch groß waren, von den man träumte und sie glaubten damals fest daran, dass alles möglich ist, wenn man nur will. Fast wäre es ein Lebensabend, ein Rentnerdasein der angenehmen Art für die Beiden geworden, wenn da nicht immer die Sache mit dem Abruf wäre. Das 'Tiltchen', wie er seine Frau immer nannte, holte sich eine Lungenentzündung. Recht stabiel war sie mit der Gesundheit nicht mehr, seit sie einmal in so einem 'Giftmischerbetrieb' beschäftigt war, wie sich Herr Schwarz immer ausdrückte. Sie hatte sich dort einen Lungenschaden zugezogen und musste mit der Arbeit aufhören. Dass es aber gerade jetzt, genau in der Zeit wo sie endlos Zeit füreinander hatten, so schnell gehen würde, war schon ein Schock für ihn. Drei Tage und alles war vorbei. Sein Tiltchen wurde beigesetzt, die Kinder fuhren wieder ins Bergische und er stand Morgen für Morgen am Küchenfenster. Was er dort machte? Er schaute fast sehnsüchtig den zur Arbeit gehenden, hastenden und teils mürrischen Leuten zu und beneidete sie! Der Wellensittich rupfte sich vor lauter Einsamkeit die Federn aus, die drei Karnickel brachte unser Herr Schwarz zu einem Nachbarn und er stand am Küchenfenster. Endlos, immer und immer wieder. Sollte dass sein Lebensabend, sein Rentnerdasein sein, für alle Zeiten? Nur langsam löste sich Herr Schwarz von dem Küchenfenster, begann die Gegen zu durchstreifen, schlich an den verlassenen Werktor vorbei, was so lange sein Leben geregelt hatte und landete schließlich eines schönen Tages in der alten Kneipe, in der er hin und wieder einen Dämmerschoppen genommen hatte. An dem Lokal war so gut wie nichts verändert worden. Vielleicht etwas neue Farbe, ein paar Blumen hier und da. Aber es war stiller als zu früheren Zeiten, die Leute an den Tischen älter und kaum ein Leuchten war mehr in ihren Augen zu sehen. Unser Herr Schwarz steuerte an die kleine Bar, bestellte sich, ohne nach rechts oder links zu schauen, ein Pilz, starrte unentwegt das Glas an, ohne zu trinken und wurde erst aus seinem Stumpfsinn gerissen, als der Herr Weiß sich neben ihn auf dem Hocker niederließ. Der Abend war lang für Herrn Schwarz und Herrn Weiß, denn schließlich hatten sie eine gemeinsame Geschichte, eine Vergangenheit, ein Leben in diesem Werk, konnten sich noch genau daran erinnern, wann dieser Abteilungsleiter mit der Tippse, wo jener seine Jacht her hatte und der andere, obwohl er im Betriebsrat war, mit dem Vorstandsherren in stillen Stunden, -nie stattgefundene- stille Gespräche führte. Wie nebenbei kamen sie darauf, dass diese neuen Herren der ehemaligen Graetz-Werke sie nicht gerettet sondern systematisch verschaukelt hatten. In der ersten, sogenannten Konsolidierung der neuen Mobiel-Telefonsparte wurden dreihundertfünfzig Leute entlassen, um angeblich die Arbeitsplätze zu sichern. Darunter war auch unser Herr Weiß. Er war vom Bergbau gekommen, hatte dort mit der Elektronik zuschaffen und war heilfroh, dass er im etwas fortgeschrittenem Alter noch einmal untergekommen war. Die Freude hielt nicht zu lange, denn er war unter den Neuzugängen und diese müssen, wohl oder übel, immer zuerst wieder gehen. Wo er sich heute und an diesem Abend immer noch so richtig in Rasche reden konnte, war die Tatsache, dass nicht die Arbeit weniger geworden wäre, die Umsätze des Unternehmens drastisch gesunken wären, nein, es war die Tatsache, dass man für die Entlassenen so nach und nach eintausend Leiharbeiter einstellte, um die gut laufenden Geschäfte überhaupt bewerkstelligen zu können. Und aus sehr guter Quelle wusste er dem Herrn Schwarz noch zu berichten, dass bis zur -angeblich notwendigen- Aufgabe dieses Betriebes in Bochum pro Kopf und Arbeiter fünfzigtausend Euro Gewinn im vergangenen Rechnungsjahr erwirtschaftete wurden.

Der Herr Schwarz schaute seinen Kollegen etwas verständnislos an und meinte lakonisch, »was soll' s, früher warns die Kriegshorden und heute die Wirtschaftshorden, die uns ausnehmen. Wir sind jetzt in Rente. Wir sind so und so schon aussortiert, abgestellt, auf dem Gleis zum Friedhof, oder? Ich hab mich so auf den Tag gefreut, und dann stirb sie mir, nun ist sie weg und die Arbeit auch«. Für einige Minuten war es still zwischen den beiden geworden, bis Herr Weiß zaghaft fragte, »was haben wir denn vor der Arbeit gemacht, war da nicht noch so etwas wie die Schule und was war vor der Schule? Vielleicht sollten wir da wieder weiter machen und dass dazwischen einfach vergessen. Einfach streichen aus unseren Köpfen. Was meinst du?«

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und so leicht würde sich die Idee des Herrn Weiß nicht umsetzen lassen, wenn überhaupt. Kann man so einfach zu seinen Kindertagen zurückkehren, Angst ums Überleben hinter sich lassen, einfach vergessen dass da mal Pflicht gegenüber der Familie, der Gesellschaft und dem Staat war? Aber irgendwie schien mit diesen beiden Herren eine Veränderung vorzugehen. Für eine gewisse Zeit sah man sie überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit. Sie besuchten einander in ihren Wohnungen, steckten die Köpfe zusammen und sprachen nur im Flüsterton, wenn sie einmal auf der Bank vor dem Haus saßen. Hin und wieder hörte man ein urplötzliches und spontanes Lachen, was sich durch die alten Gassen von Bochum wie ein unheimliches Signal fortpflanzte und von der Nachbarschaft eher ärgerlich wahrgenommen wurde. >Die sind doch jeck<, hörte man nach gewisser Zeit hier und da reden, >seit die nix mehr schaffen, schaffen die nix mehr!< War es wirklich so? Natürlich war es schon etwas seltsam, wenn man sie auf ihren neuerlich begonnenen Wegen begleiten würde, zu sehen, dass sie der Hausmeisterin vom vierten Haus links ihren Putzeimer versteckten, den Besen an ihre Tür nagelten, ihm eine Hexenlarve aus Plastik aufsetzten und den Putzlumpen als Kopftuch drapierten. Und dass alles in Windeseile, um bei ihrem Tun nicht ertappt zu werden. Einen ehemaligen Abteilungsleiter, der nun auch in Ruhestand war, aber bis in die letzten Minuten den abgewanderten Arbeitgeber verteidigte, hingen sie kurzer Hand sein neues Rennrad mit viel Aufwand und der notwendigen Logistik unter den Dachgiebel des Wohnblocks. Dieser Krummbiegel -der Ehemalige- hatte sich in den Kopf gesetzt durch absolute Fitness den nächsten Durchwanderer in Sachen Industrie noch zu erleben und bei ihm arbeiten zu dürfen. Sicher war er ein größerer Träumer als die Herren Schwarz und Weiß und wohl aus diesem Grund heraus veranstalteten die beiden Herren diese Sache mit dem Rennrad. Der Krummbiegel hat die ganze Gegend nach seinen Italienischen abgesucht. Jede kleine Hütte die noch hinter den Häusern standen, durchsucht, keine Häusernische und kein verlassenes Grundstück ließ er aus. Ohne Erfolg. Er ging zur nächsten Wache um den vermeintlichen Diebstahl anzuzeigen und machte große Augen als sein alter Schulfreund und Leiter der Wache mit ihm zum Haus ging, um alles genau aufzunehmen. Zufällig schaute der zum Dachgiebel hoch und fragte etwas gereizt, »willste mich veraschen?, da oben hengdes doch.« Krummbiegel viel aus allen Wolken, schwor Rache bis zum Sankt Nimmerleinstag und hatte alle Hände voll zu tun, sein Italienisches wieder vom Dachgiebel auf den steinigen Boden Bochums zu bringen. Die Inszenierer dieser Aktion hatten sich etwas abseits in einem Kaffeehaus niedergelassen, die Gardinen ganz leicht gelüpft, die Getränke immer sofort bezahlt und als sie das Gesicht und sein aufgeregtes Gestikulieren von dem ehemaligen Abteilungsleiter sahen, brachen sie wieder in ihr Gelächter aus, was nicht nur die Glasscheibe des Kaffees erzittern ließ, sondern auch ungeniert und schallend über die kleine Straße rollte. Und plötzlich waren unsere zwei wie vom Erdboden verschluckt. Eines Nachts, so erzählte es die Frau Svoboda vom fünfzehnten Reihenhaus rechts in der 'Kanakensiedlung', hätte sie am alten Bahngleis von der Grube -und dass im Spätherbst- zwei ältere Männer an einem Lagerfeuer gesehen. Mit kleinem Zelt, ja sie wollte sogar Schlafsäcke erkannt haben und außerdem könnte sie schwören, dass es die beiden Schwarz und Weiß waren. Waren die beiden wirklich auf den Weg zurück in ihre frohen, fast sorglosen Kindertage, wo der Schabernack und die ungehemmte Freude darüber die Hauptrolle spielt? Es hatte den Anschein. Nun soll man ja nicht glauben, dass ihr ganzes Tun nur auf die stillen, und im Grunde genommen harmlosen Racheaktionen begrenzt war. Es ging auch anders herum. Die Frau Schulz hatte es eines Tages arg erwischt. Ihr Lebensgefährte, ein ehemaliger Gastarbeiter aus Neapel, war an der Staublunge jämmerlich eingegangen und hatte nun der alten Frau nichts, aber auch gar nichts hinterlassen, oder hinterlassen können. Die Krankheit, das kleine Häuschen, sie durfte nicht arbeiten sondern nur für ihren Salvatore dasein. Und jetzt stand sie da, kaum Rente, keine Versorgung durch ihren Partner, die Kinder in alle Welt verstreut , die Mutter und die Heimat waren für sie in Vergessenheit geraten. Dass sind keine guten Aussichten für ein Weiterleben. Doch in letzter Zeit konnte man ein Aufleben dieser kleinen, zierlichen Person wahrnehmen. Jeden Monat, so um den Ersten herum, ging sie öfter als normal zu ihrem Briefkasten. Und manchmal, wenn sie wieder diesen kleinen cremefarbenen Umschlag darin entdeckte, schaute sie mit großen, suchenden Augen die Straße auf und ab, wollte sehen wer ihr diese höchst angenehme Post so regelmäßig brachte und manchmal glaubte sie am Ende der Straße einen dieser Herren Schwarz oder Weiß zu erkennen. Sie war sich aber nie ganz sicher, die Augen, aber glücklich war sie, jeden Monat.

So machen kleinen Schabernack heckten die beiden aus, wenn auch die Anfangseuforie nicht mehr so heftig war. Aber es schien ihnen unheimliche Freude zu bereiten, denn ihr Aussehen, ihre ganze Ausstrahlung schien sich von Tag zu Tag zu verjüngen. Ein stilles Feuer leuchtete wieder in ihren Augen und wenn sie, manchmal Arm in Arm, durch eine Straße gingen, wo sie schon tätig waren oder es vielleicht noch werden wollten, schlich sich ein spitzbübisches Lächeln über ihre Gesichter. Den anderen Mitbürgern waren sie nicht mehr ganz geheuer, die hielten sie für zwei alte Trottel die ihr Rentnerleben nicht in den Griff hatten. War es wirklich so und,wie hätte es denn ausschauen sollen?, wer weiß, wer weiß..........

g.e. 29.01.2008 


Die INTER - POST © by h.g. glase



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